Das Team des VCO Dresden mit Coach Jens Neudeck (3. von rechts).

21Jan2014

Kritische Worte eines Bundesstützpunkttrainers

In einem Interview mit der Sächsischen Zeitung, geführt von Alexander Hiller, das in der Print-Ausgabe der SZ vom 21. Januar erschienen ist, spricht Jens Neudeck als Coach des VCO Dresden und Bundesstützpunkttrainer über die Entwicklung in der deutschen Nachwuchsszene. Dabei nimmt Neudeck Bezug auf die Berichterstattung des volleyball-magazins in den Ausgaben 12/2013 und 01/2014, die wir auch in der Meldung „Nachwuchsarbeit im DVV: Die Diskussionen gehen weiter” aufgegriffen haben. 

Hier lesen Sie das komplette Interview:

„Wenn nichts passiert, werden wir weiter Zaungast sein“

Deutsche Volleyball-Talente hinken der Entwicklung hinterher. Dresdens Bundesstützpunkt-Trainer sieht strukturelle Fehler.

Was soll ich tun? Bundesstützpunkt-Trainer Jens Neudeck sind auf der Suche nach Volleyball-Talenten in vielen Bereichen die Hände gebunden. Sein Ausbildungsteam des VCO Dresden unterlag zudem am Wochenende gegen Zweitligaschlusslicht Nürnberg 0:3.

Die Situation ist alarmierend. Die Mädchen des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) sind in der Weltrangliste von Rang elf auf Platz 31 abgestürzt. Beispielsweise hinter Indien und Venezuela. DVV-Vizepräsident Michael Evers verdeutlichte die prekäre Lage in einem Interview mit dem Volleyball-Magazin, in dem er auch die Bundesstützpunkte in die Pflicht nahm. Jens Neudeck, seit 2013 Bundesstützpunkt-Trainer in Dresden, bezieht Stellung.

Herr Neudeck, sehen Sie den deutschen Volleyball-Nachwuchs auch in einer existenziellen Krise?
Ja. Ich finde gut, dass das Thema angesprochen worden ist, es ist immer eine Frage, ob das in der Öffentlichkeit und mit so einem Rundumschlag sein muss. Aber es ist wichtig, dass man darüber spricht und Ursachenforschung betreibt. Denn die Tendenz geht schon dahin, dass wir schauen müssen, europaweit nicht den Anschluss zu verlieren.

Was führte aus Ihrer Sicht zur Krise?
Es ist einfach so, dass andere europäische Nationen ziemlich viel Geld in die Nachwuchsförderung investieren – wie die Türkei oder Polen, die flächendeckend Nachwuchsförderungen angeschoben haben, mit Trainerausbildung, Ausbildungskonzeption. Da wurde Geld in die Hand genommen, um Talente frühzeitig zu erkennen und zu fördern. Das wird von den Verbänden finanziell unterstützt und gesteuert. Dieser Entwicklung laufen wir hinterher, weil die der DVV weder finanziell noch personell leisten kann. Wir laufen bei der finanziellen Unterstützung der Basis den europäischen Verbänden hinterher. Wir haben es bis jetzt immer geschafft, mit viel Unterstützung der Landesverbände zumindest den Anschein zu erwecken, den Anschluss zu erhalten.

Das heißt, die Probleme werden eher größer als kleiner?
Das kommt darauf an, wie sich der DVV zur Jugend allgemein positioniert. Wir haben 2010 schon Probleme angesprochen. Also gezielte finanzielle Unterstützung der Landesverbände bei der Talentesichtung und -förderung durch den DVV. Qualitativ bessere Maßnahmen des Verbandes bei Jugend- und Junioren-Nationalmannschaften. Wir haben festgestellt, dass unsere Jugendnationalspielerinnen mehr als die Hälfte weniger Länderspiele haben als Akteurinnen anderer Nationen. Sodass wir beispielsweise eine EM-Qualifikation mit zu wenig Erfahrung bestreiten.

Wie wurde denn bisher Ausbildung unterstützt?
Bisher sind die Landesverbände weitestgehend für den DVV eingesprungen. Die Bundestrainer-Stelle von Jens Tietböhl als Jugend-Nationaltrainer haben die Landesverbände mitgetragen. Jetzt ist die Frage, ob es dem DVV – für mich immer in Kooperation mit der Deutschen Volleyball-Liga (DVL) – gelingt, Geld zu akquirieren, das eins zu eins in den Nachwuchs fließt. Wenn das nicht passiert, werden wir bei Großveranstaltungen weiter Zaungast sein.

Auf den Kern reduziert: Es fehlt Geld?
Ja. Für mich fehlt zunächst aber eine Grundanalyse: Was machen wir schon an der Basis, also was leisten Landesverbände finanziell sowie personell? Dann muss man schauen, was möglich ist und wie wir daraus ein Konzept stricken und wer dafür verantwortlich ist. Was mir fehlt, ist die Antwort auf die Frage, wie das Sichtungskonzept des DVV aussieht. Das ist momentan völlig in der Hand der Landesverbände.

Wie sieht das genau aus?
Wir haben die Aufgabe, Talente zu suchen und zu finden. Wie wir das finanziell und personell lösen, müssen wir selbst klären. Die Mädchen müssen wir dann ja auch zum Leistungssport bringen. Finden ist gar nicht das Problem. Dann lädt der DVV zur zentralen Auswahlsichtung. Aber da haben wir schon die Grundarbeit geleistet: die Mädchen gefunden, sie an Sportschulen untergebracht. Das ist mir zu einfach, dass man dann nur aus dieser Masse abgreift und sagt: Macht das mal besser. Mir fehlt die Hilfe des DVV, auch finanziell. Damit wir in der Lage sind, noch mehr zu leisten.

Wie wird in Sachsen gesichtet?
Im weiblichen Bereich haben wir wieder Bezirkstrainer installiert, die vom Verband eine Aufwandsentschädigung erhalten. Die haben klare Sichtungsaufgaben, sind verantwortlich, die talentierten Mädchen zu finden. Die Bezirkstrainer sind das Bindeglied zwischen dem Regionaltrainer und mir. Gleichzeitig haben wir ein flächendeckendes System mit acht Landesstützpunkten. In den Schulen legen wir jetzt das Hauptaugenmerk auf die ersten und zweiten Klassen. Wir wollen frühzeitig die Mädchen zum allgemeinen Sport bewegen.

Wie viele Schulen in Dresden haben Sie auf dem Schirm?
In Dresden alle. Ziel ist es, alle Mädchen in Dresden zu sehen. Eine riesige Fülle. Ein großes Problem dabei für uns ist der Datenschutz. Wir können keine Namen, keine Adressen erfassen, sondern nur herausfiltern, dass in Klasse X der Schule Y ein interessantes Mädchen ist, der wir eine Einladung übergeben müssen und dann hoffen, dass wir Rücklauf bekommen. Wir haben aber keine Daten, die wichtig wären, das Mädchen persönlich einzuladen.

Das heißt, Sie arbeiten mit vorbereiteten unpersonalisierten Einladungen?
Genau, wir gehen in die Klassen, können Körpergröße und Gewicht erfassen. Talente bekommen eine anonyme Einladung, und ich muss kontrollieren, ob beispielsweise aus Klasse fünf des Pestalozzi-Gymnasiums Rücklauf gekommen ist, weil der Datenschutz nicht hergibt, dass wir Namen und Geburtsdaten erfassen. Wir versuchen jetzt, mit Elterninformationen zu arbeiten, dass wir die Daten bekommen, die Eltern können widersprechen. Wir brauchen eine Sichtungsgenehmigung, um in die Schulen reinzugehen und das Okay des Direktors. Wir verbringen mehr Zeit mit der Organisation der Sichtungstour als mit der Sichtung. Allein für die Termin-Organisation benötigen wir vier, fünf Wochen – insgesamt geht ein Vierteljahr für die Sichtung in den gesamten Dresdner Schulen drauf.

Muss sich auch Dresden den Vorwurf des DDV-Vizepräsidenten gefallen lassen, dass viele Trainer sich nicht die Mühe machen, große Mädchen von Grund auf auszubilden?
Der Vorwurf geht uns nichts an. Wir versuchen Mädchen zu finden, von denen wir glauben, dass sie im Profibereich eine Chance haben. Natürlich ist für uns wichtig, dass wir diese Mädels zeitig finden, denn die körperliche Grundausbildung der Kinder ist schlechter geworden.

Das Belohnungssystem ist ein weiterer Kritikpunkt. Wäre es sinnvoll, die Bundesstützpunkte dafür zu entlohnen, wie viele Profis oben ankommen, anstatt frühe Erfolge im Nachwuchs als Förderungsgrundlage zu nehmen?
Mir ist nicht bekannt, dass es dieses Prämiensystem überhaupt gibt. Für den Geburtsjahrgang 1992/93 bekamen wir das letzte Mal eine finanzielle Belohnung für die Teilnahme an der Europameisterschaft. Seitdem gibt es nichts mehr.

Aber die Förderung wird danach ausgerichtet, wie erfolgreich Sie beim Bundespokal oder deutschen Nachwuchsmeisterschaften sind?
Theoretisch, so ist der aktuelle Stand in Sachsen, wird die Förderung nur nach Olympia-Teilnahme der A-Nationalmannschaften bewertet. Auf diesen Fakt aber habe ich den wenigsten Einfluss. Dennoch fördert uns der Landessportbund weiter, darauf sind wir angewiesen. Unsere Auswahlkader für Jugend- und Juniorennationalteams spielen ebenfalls bei der Bewertung eine Rolle. Zudem fließen die Ergebnisse von Bundespokal und deutschen Meisterschaften ein. Wobei wir klar den Fokus darauf legen, möglichst viele Spielerinnen für den Profibereich auszubilden.

Die deutschen Frauen haben zweimal in Folge die Olympiateilnahme verpasst. Wie gefährdet ist damit der Bundesstützpunkt Dresden?
Die Landesverbände werden in ihrer Arbeit unterschiedlich bewertet. Bei uns in Sachsen hängt viel am Olympiastart unserer Hallen-Nationalmannschaft. Wir haben die Aussage vom Landessportbund Sachsen, dass er bis 2016 zu uns steht. Gleich, ob sich die Frauen für Rio qualifizieren. Aber es kann natürlich bei einer weiteren Nichtteilnahme passieren, dass der Deutsche Olympische Sportbund und damit auch der Landessportbund darüber nachdenkt, ob es sich lohnt, in diese Sportart zu investieren. Schon deshalb müssen wir auf lange Sicht gesehen die Nachwuchsarbeit fördern.

Warum macht Ihnen angesichts dieser Probleme Ihr Job trotzdem Spaß?
Es ist die Arbeit mit den Athleten, auch die Achtung davor, worauf die Sportler verzichten, um ihre Ziele zu erreichen. Was mich motiviert ist die Tatsache, dass man sieht, wie es eigene Spielerinnen in die 1. Liga oder die Nationalmannschaft schaffen. Wir haben hier Topbedingungen.

 

Von:  weg/SZ

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